Hätte eine europäische Ratingagentur rechtzeitig vor der Subprime-Krise warnen können?

Frage: Nach meiner Meinung befinden wir uns erst am Beginn einer größeren Finanzmarktkrise. Aber wir wissen nicht, ob und inwieweit dies auch auf Europa Auswirkungen haben wird. Ist es nicht eigentlich Aufgabe der Ratingagenturen, rechtzeitig auf solche Gefahren hinzuweisen? Oder sind diese Unternehmen grundsätzlich nicht geeignet, die Krisen zu erkennen, so wie das bei der „Subprime“-Krise in den USA offensichtlich der Fall war? Würde eine europäische Ratingagentur hier von Nutzen sein?

Tobias S. aus Bad Homburg

 

Antwort: Den großen amerikanischen Ratingagenturen ist es tatsächlich nicht gelungen, rechtzeitig vor der Subprime-Krise zu warnen. Dennoch erfüllen sie eine wichtige Funktion als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Investoren. Sie helfen den institutionellen und privaten Anlegern, die Bonität von Schuldnern sowie Risiken und Chancen komplexer Investmentprodukte zu bewerten. Problematisch ist nur, dass sie in der Regel nicht wirklich unabhängig sind, da sie für diese Leistungen von den Emittenten bezahlt werden. Vor diesem Hintergrund wären eine oder sogar mehrere unabhängige europäische Ratingagenturen für den hiesigen Finanzmarkt von großem Nutzen. Denn die für eine korrekte Risikoeinschätzung notwendige Kenntnis der regionalen Märkte sowie der Präferenzen der verschiedenen Investorengruppen, sind für Gesellschaften mit Sitz in den USA nur schwer zu bekommen. Im Übrigen gibt es bereits kleinere unabhängige Ratingagenturen wie Feri Rating & Research, die vor allem für ihre Markt-, Fonds- und neuerdings auch für ihre Zertifikateratings bekannt sind. Aber diese arbeiten in Nischen, so dass ein echter großer europäischer Player, wie Sie zu Recht anmerken, gegenwärtig leider noch fehlt.

Jella Benner-Heinacher