Sind Hauptversammlungen nicht nur noch reine Jubelveranstaltungen?

Frage: Die deutschen Aktiengesellschaften, in die ich investiert habe, machen mir in diesem Jahr so richtig Freude: Rekordgewinne, Rekorddividenden und rasant steigende Aktienkurse sorgen für sehr gute Stimmung. Aber wie sieht das auf den Hauptversammlungen aus? Mein Eindruck ist manchmal, dass alle Aktionäre zufrieden sind und deshalb die Eigentümerversammlungen nur noch reine Jubelveranstaltungen sind? Dabei gibt es in vielen Fällen durchaus Diskussionsbedarf. Wie ist Ihre professionelle Einschätzung? Und sind die Versammlungen im europäischen Ausland auch so friedlich wie bei uns?

Friederike B. aus Bergheim

 

 

 

 

Antwort: Sie haben Recht: In Anbetracht der tollen Ergebnisse musste man zu Beginn der HV-Saison davon ausgehen, dass der Grad der Zustimmung durch die Aktionäre außerordentlich hoch sein würde. Aber es ist anders gekommen, als vermutet: Natürlich ist die Anzahl der Gegenstimmen bei den Beschlüssen über attraktive Dividenden extrem niedrig. Aber dennoch ist feststellbar, dass die Aktionäre immer mehr zwischen den einzelnen Beschlussvorschlägen differenzieren. Dabei gilt die Faustregel, dass über 5 Prozent Nein-Stimmen für deutsche Verhältnisse schon hoch ist. 

 

Speziell bei der Wahl von bestimmten Kandidaten in den Aufsichtsrat, die als ‚overboarded‘ oder interessenbehaftet gelten, steigt der Widerstand der Anteilseigner. Das hat zuletzt auch die HV des Chemiekonzerns Lanxess deutlich gemacht, bei der manche Kandidaten bis zu 15 Prozent Nein-Stimmen erhalten haben. Deutlich war auch die Missbilligung der Vorstandsarbeit bei der Deutschen Bank durch deren Aktionäre, die den amtierenden Vorstand mit nur knapp 61 Prozent entlastet haben – ein wirklich miserables Ergebnis. Daneben stehen immer öfter auch Kapitalmaßnahmen und der Rückkauf eigener Aktien in der Kritik, mit in der Folge steigenden Nein-Voten der Aktionäre, hier vor allem von Seiten der institutionellen Anleger. 

Im Ausland ist festzustellen, dass vor allem französische Aktionäre deutlich öfter mit Nein stimmen als dies in anderen EU-Ländern der Fall ist. Hier sind Gegenstimmen von 15 bis 20 Prozent bei allen Beschlussvorschlägen keine Seltenheit. Interessant ist insoweit auch das Abstimmungsergebnis bei der HV der Airbus SE Ende Mai 2015 in Amsterdam: Hier lag der Anteil der Nein-Voten bei der Wahl einer neuen Kandidatin für den Aufsichtsrat bei über 40 Prozent. Hintergrund waren vermutlich Widerstände mehrerer Großaktionäre, z.B. des spanischen Staates, der offensichtlich geplant hatte, eine eigene Kandidatin durchbringen zu wollen.

Jella Benner-Heinacher