Nagelprobe beginnt

Ist es grundsätzlich unmoralisch, wenn Manager Millionen verdienen und gleichzeitig Stellen gestrichen werden? Dürfen Boni gezahlt werden, wenn Unternehmen Gewinnrückgänge verkraften müssen? Kaum ein anderes Thema läßt die Wogen öffentlich so hoch schlagen, wie die Frage nach den Managerbezügen. Jetzt ist die Diskussion wieder voll entbrannt. Denn mit der beginnenden Hauptversammlungssaison präsentieren die Unternehmen ihre Geschäftsberichte, in denen zumeist in allen Einzelheiten die Gehälter der Chefs aufgelistet sind.

Noch haben zwar nicht alle Unternehmen aus dem DAX ihre Jahresberichte veröffentlicht, doch ein Trend läßt sich bereits erkennen – und der sieht viel positiver aus, als man angesichts der lautstarken öffentlichen Diskussion vermuten könnte. Im großen und ganzen scheinen nämlich die Vergütungssysteme der Unternehmen recht gut zu funktionieren. Tatsächlich sinken bei den meisten Firmen die Gehälter, nachdem sie in den Vorjahren kräftig gestiegen waren. Bei den AGs, die bereits Zahlen präsentiert haben, entwickeln sich die Bezüge in die gleich Richtung wie die Gewinne. So hat etwa Daimler-Chef Dieter Zetsche analog zum Ergebnis in diesem Jahr fast 50 Prozent weniger Gehalt.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Natürlich muß gerade jetzt besonders stark auf die Angemessenheit der Bezüge geachtet werden. Boni für Investmentbanker, die existenzbedrohende Milliardendefizite verursacht haben, sind tabu. Dennoch sind Rufe von Politikern nach einer Gesetzesänderung verfrüht und unsinnig. Die Nagelprobe, in der sich zeigen muß, ob die Vergütungssysteme in beide Richtungen funktionieren, beginnt ja gerade erst.

Ulrich Hocker