DSW-Aufsichtsratsstudie 2003

Die DSW hat die Aufsichtsräte der 30 DAX-Gesellschaften genau analysiert. Herausgekommen ist die Antwort auf die Frage, wer die mächtigsten Männer Deutschlands sind.

Teilnehmer:

Jella Benner-Heinacher, Geschäftsführerin

Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer

Christiane Hölz, DSW-Anwältin

Jürgen Kurz, Pressesprecher

Es gilt das gesprochene Wort

Auf das Thema Aufsichtsrat (AR) angesprochen antwortete der deutsche Banker der 50er und 60er Jahre, Hermann Josef Abs, folgendes:

„Was ist der Unterschied zwischen einer Hundehütte und einem Aufsichtsrat? Die Hundehütte ist für den Hund, der Aufsichtsrat ist für die Katz.“

Heute würde Abs das Kontrollgremium der Aktiengesellschaften vielleicht etwas milder beurteilen. Denn im Zuge der Corporate Governance Diskussion sind die Anforderungen an die deutschen Aufsichtsräte stark gestiegen. Das gilt insbesondere für die Vorsitzenden und diejenigen Aufsichtsratsmitglieder die in einem oder mehreren der wichtigen Ausschüsse wie Präsidial-, Personal oder Bilanzausschuss mitarbeiten.

Die Punkte 3 und 5 des Corporate-Governance-Kodex befassen sich ausführlich mit den Aufgaben der Aufsichtsräte.

Dort ist unter anderem zu lesen:

·        „Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.“

·        „Für Geschäfte von grundlegender Bedeutung legen die Satzung oder der Aufsichtsrat Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Aufsichtsrates fest. Hierzu gehören Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern.“

Besonders gut fasst der Punkt 5.1 des Kodex die Anforderungen zusammen:

·        „Aufgabe des Aufsichtsrates ist es, den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens zu beraten und zu überwachen. Er ist in Entscheidungen von grundlegender Bedeutung einzubinden.“

Der Corporate-Governance-Kodex verlangt vor allem von den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Ausschussmitgliedern deutlich mehr Mitarbeit an strategischen Entscheidungen der Unternehmen als dies zu Zeiten von Hermann Abs üblich war. Um die im Kodex formulierten Aufgaben wirklich erfüllen zu können, ist heute ein hohes Maß an betriebswirtschaftlicher Kompetenz und unternehmenspolitischer Erfahrung notwendig.

Grund genug, sich die Aufsichtsräte der 30 DAX-Unternehmen genauer anzusehen. Wer sind die Leute, die sich dieser großen Verantwortung stellen. Wer sind die entscheidenden Männer Deutschlands? Und leider hat die DSW-Studie ergeben, dass es wirklich fast ausschließlich Männer sind. In der Ihnen vorliegenden Liste finden sich mit Renate Köcher und Susanne Klatten genau zwei Frauen.

Vorab noch etwas zur Systematik der Studie:

Untersucht haben wir die Kapitalseite der Aufsichtsräte der 30 Aktiengesellschaften die zur Zeit im Deutschen Aktienindex DAX vertreten sind. Insgesamt wurden 278 Mandate überprüft, die von 193 Mandatsträgern gehalten werden. Die ersten 45 haben wir in das DSW-Ranking aufgenommen.

Neben Vorsitz oder einfacher Mitgliedschaft wurde besonderes Augenmerk auf die drei wichtigen Ausschüsse gelegt: Den Präsidial- oder ständigen Ausschuss, den Personalausschuss und den Bilanz- bzw. Prüfungsausschuss. Wichtig für den Einfluss ist schließlich nicht, dass man in einem Aufsichtsrat sitzt, sondern welche Position man dort bekleidet.

Entsprechend sieht die dem Ranking zugrunde liegende Punkteskala aus. Für den Aufsichtsratsvorsitz plus Ausschussvorsitz wurden 10 Punkte vergeben. Acht Punkte gab es für die einfache Aufsichtsratsmitgliedschaft plus Ausschussvorsitz. Sechs Punkte bekam, wer AR-Mitglied ist und in einem Ausschuss mitarbeitet. Vier Punkte wurden für die einfache Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat vergeben.

Um Verzerrungen zu vermeiden, kam bei denjenigen, die in einer Aktiengesellschaft in mehrere Ausschüssen sitzen, nur ein Ausschuss in die Wertung. So erklärt sich auch die Diskrepanz zwischen gewerteten und tatsächlichen Ausschussvorsitzen und –mitgliedschaften in der Ihnen vorliegenden Liste.

Bei einigen Aktiengesellschaften sind wir im Rahmen der Untersuchung auf Besonderheiten gestoßen. So verzichtet Adidas bei dem Präsidialausschuss auf einen Vorsitz. Ungewöhnlich auch, dass bei der Deutschen Post der Vorsitz des Personal- und bei SAP der des Bilanzausschusses von einem Arbeitnehmervertreter wahrgenommen wird.

Gegen die Anregung aus Punkt 5.2 des Corporate Governance Kodex, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht gleichzeitig Vorsitzender des Bilanzausschusses sein sollte, verstoßen immerhin sechs Aktiengesellschaften:

Bayer, DaimlerChysler, Infineon, Linde, MLP und Siemens.

Nun aber zu den Ergebnissen der DSW-Untersuchung:

Den ersten Platz belegt Manfred Schneider, Ex-Vorstandschef der Bayer AG. Er führt in den Aufsichtsräten von Bayer und Linde den Vorsitz. Außerdem sitzt Schneider bei fünf weiteren DAX-Unternehmen in dem wichtigen Kontrollgremium. Er ist in elf Ausschüssen vertreten, sechsmal ist er deren Vorsitzender. So beispielsweise in den Bilanzausschüssen von Allianz und Linde.

Knapp dahinter: Karl-Hermann Baumann, der den Siemens-Kontrolleuren vorsitzt. Baumann leitet ebenfalls sechs Ausschüsse und ist in drei weiteren Mitglied. Auf dem dritten Platz: Ulrich Hartmann, bis vor kurzem noch Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns E.ON. Seit diesem Jahr ist Hartmann dort Chef des Aufsichtsrats. Zusätzlich leitet Hartmann das Kontrollgremium der Münchener Rück.

Insgesamt sitzen die drei Führenden des DSW-Rankings in den Aufsichtsräten von immerhin 15 der 30 DAX-Gesellschaften. Bei fünf Unternehmen stellen sie den Vorsitzenden. In den restlichen zehn sind sie zumindest in den wichtigen Ausschüssen vertreten. 22 der größten deutschen Aktiengesellschaften werden von den ersten zehn der Rangliste mitkontrolliert.

Ein weiteres Ergebnis der DSW-Untersuchung: Unter den ersten zehn findet sich mit dem Finanzvorstand der Allianz, Paul Achleitner, nur ein aktives Vorstandsmitglied. Die hohe Platzierung von Achleitner verwundert nicht sonderlich, ist sein Hauptjob doch das Management der Beteiligungen des Versicherungskonzerns.

Für die Schutzvereinigung ist dies durchaus ein Grund zur Freude: Vorstände sind durch ihre Arbeit zeitlich extrem belastet. Da ist es schwer, Aufsichtsratsmandate vernünftig auszufüllen. Entsprechend sinnvoll ist die Vorschrift des Corporate Governance Kodex, die AR-Mandate für aktive Vorstände auf fünf zu beschränken. Der erste Vorstandsvorsitzende in der Liste kommt mit dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann,  allerdings bereits auf Platz 14. Ackermann sitzt bei vier DAX-Werten im Aufsichtsrat.

Insgesamt beherrschen also die Berufsaufsichtsräte die Liste, immerhin 32 der 45 gehören in diese Kategorie. Weniger erfreulich: Sieben der ersten zehn des DSW-Rankings sind direkt vom Posten des Vorstandschefs in den Vorsitz des Aufsichtsrates derselben Gesellschaft gewechselt. Ausnahmen sind nur der noch aktive Vorstand Achleitner, der Ex-WestLB Chef Friedel Neuber, der den Aufsichtsräten von RWE und TUI vorsitzt sowie Karl-Hermann Baumann. Die Nummer zwei der Liste war „nur“ Finanzvorstand bei Siemens.

Soviel zu den Ergebnissen der DSW-Aufsichtsratsstudie. Alles in allem hat sich gezeigt, dass die Berufsaufsichtsräte auf dem Vormarsch sind, was aus Sicht der Schutzvereinigung durchaus zu begrüßen ist. Es zeigte sich allerdings auch, dass nur wenige Ausländer auf der Liste zu finden sind. Hier stellt sich die Frage, ob die großen deutschen Aktiengesellschaften nicht öfter mal über die Landesgrenzen hinweg schauen sollten, wenn es um die Besetzung eines wichtigen Aufsichtsratsposten geht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Aus DSW–Sicht gibt es drei Problemfelder rund ums Thema Aufsichtsrat:

 

1.      Die mangelnden Konsequenzen für Fehlverhalten:

Mit einer Entlastung sprechen die Aktionäre den Aufsichtsräten ihr Vertrauen aus. Eine Nichtentlastung kommt einem Misstrauensvotum also sehr nahe. Nur dass es für das betroffene Aufsichtsratsmitglied zurzeit keinerlei rechtliche Folgen hat. Offenkundig wurde dies auf der Hauptversammlung der Lufthansa. Verdi-Chef und Lufthansa-Aufsichtsrat Frank Bsirske wurde die Entlastung verweigert. Trotzdem wurde Bsirske in der konstituierenden Sitzung des Kontrollgremiums mit den Stimmen der Arbeitnehmer wieder zum stellvertretenden AR-Vorsitzenden gewählt. Ähnliche Fälle gibt es natürlich auch auf Kapitalseite. So wird beispielsweise der Chef-Aufseher der Sartorius AG, Arnold Picot, seit Jahren von der Hauptversammlung nicht entlastet, trotzdem sitzt er dem Aufsichtsrat weiter vor.

Hier sieht die DSW Handlungsbedarf. Für den Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied in den zurückliegenden fünf Jahren nicht entlastet wurde, sollten hervorgehobene Ämter wie  Vorsitz, stellvertretender Vorsitz oder Mitgliedschaft in einem Ausschuss tabu sein. Außerdem darf der Betroffene nicht mehr zur Wiederwahl aufgestellt werden.

Die Rechtswirkung könnte beispielsweise in den Corporate Governance Kodex als Empfehlung aufgenommen werden. Der Vorteil dieser Lösung wäre die schnelle Umsetzbarkeit. Alternativ wäre auch eine gesetzliche Lösung vorstellbar. Hierfür bietet sich Paragraph 100 Aktiengesetz an, in dem die Gründe zusammengefasst sind, warum jemand nicht AR-Mitglied werden kann. Falls der Weg über das Gesetz gewählt wird, muss den Aufsichtsräten aber die Möglichkeit eingeräumt werden, sich gegen ungerechtfertigte Nicht-Entlastungen zu wehren. Diese Möglichkeit bot das deutsche Aktienrecht in Paragraph 125 Aktiengesetz bis zur Aktienrechtsreform von 1965. Dies müsste wieder eingeführt werden.

 

2.      Der direkte Wechsel vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsratsvorsitz

Die Hauptversammlungssaison 2003 war eine Saison der Aufsichtsratswahlen. Entsprechend häufig war zu beobachten, wie ein Vorstandschef ohne Umwege auf den Posten des AR-Vorsitzenden wechselt.

Nur: Die Krönung eines Lebens als Vorstandschef kann nicht automatisch der Vorsitz im Aufsichtsrat sein. Es macht allerdings auch keinen Sinn, Leute mit soviel Know-how zwangsweise aus den Unternehmen zu drängen. Dies gilt umso mehr, als die Zahl der geeigneten Kandidaten nicht allzu groß ist. Entscheidend muss Lebensleistung und persönliche Eignung sein.

Nach Meinung der DSW wäre es sinnvoll, den Corporate Governance Kodex um eine Empfehlung zu ergänzen, die sich mit diesem Sachverhalt befasst. Ziel muss es sein, dass der direkte Wechsel eine, vom Unternehmen zu begründende, Ausnahme wird.

 

3.      Die angemessene Vergütung:

Ein Reizthema dieser Hauptversammlungssaison war die Bezahlung der Aufsichtsräte. Fast alle großen Aktiengesellschaften haben hier kräftig draufgesattelt. An der Spitze wird zukünftig Volkswagen liegen. Nach der Neuregelung bekommt Ferdinand Piëch als Chef-Aufpasser des Wolfsburger Autokonzerns rund 305.000 Euro. DaimlerChrysler zahlt künftig 225.000 Euro an den Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper. RWE-Oberaufseher Neuber kann mit etwa 187.500 Euro rechnen. Die Spannbreite bei den DAX-Gesellschaften ist allerdings sehr groß. So zahlt Adidas auch künftig nur 42.000 Euro an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Henri Filho. Dass der umgekehrte Weg ebenfalls möglich ist, zeigt Altana. Rund 60 Prozent wird der Pharmakonzern nächstes Jahr weniger an den Aufsichtsratsschef Justus Mische überweisen. In diesem Jahr führte Altana die Rangliste mit 334.500 Euro noch klar an. Das Besondere dabei: Gerade 5000 Euro betrug das Fixum, der große Rest kam durch die rein dividendenabhängige Erfolgskomponente zustande.

Aus Sicht der DSW gehen die Erhöhungen grundsätzlich in Ordnung. Die Höhe der AR-Vergütung kann durchaus an den Tagessätzen von Wirtschaftsanwälten oder Unternehmensberatern angelehnt sein, die bis zu 10.000 Euro betragen können. Entscheidend ist das gewählte Modell. Die Bezahlung sollte aus einem fixen und einem erfolgsabhängigen Teil bestehen. Die Messung des Erfolgs sollte sowohl mit einer kurzfristigen als auch mit einer langfristigen Kennzahl erfolgen. Kurzfristig bieten sich Dividende oder Ergebnis pro Aktie an. Langfristig sollte die Tantieme nur alle vier Jahre zur Auszahlung kommen, wenn die Wertsteigerung in diesem Zeitraum über Plan gelegen hat. Als unternehmensinterne Kennzahl bietet sich hierfür beispielsweise EVA (Economic Value Added) an. Nicht geeignet als Bezugsgröße ist der Aktienkurs. Außerdem soll der Aufsichtsrat keine Stock-Options bekommen.

Nicht zufrieden sind wir mit dem Timing der Erhöhungen. Etliche Unternehmen bauen Personal ab. Dividenden werden gekürzt oder fallen ganz aus. Da passt es nicht recht ins Bild, wenn die Aufsichtsräte ihre Vergütungen teilweise deutlich nach oben schrauben. Hier wäre etwas mehr Sensibilität angebracht gewesen.

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DSW-Aufsichtsratsstudie