Die DSW-Watchlist 2003

2002 war das dritte Jahr fallender Aktienkurse. In der DSW-Watchlist finden sich die Aktiengesellschaften wieder, die besonders nachhaltig das Kapital ihrer Anleger vernichtet haben. Zum letzten Mal wird es eine gesonderte Auswertung des Neuen Marktes geben.

Teilnehmer:

Herr Dr. Malte Diesselhorst, Landesgeschäftsführer Berlin

Herr Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer

Herr Jürgen Kurz, Pressesprecher

Es gilt das gesprochene Wort

Wirtschafts- und Börsenkrisen sind wirklich nichts Neues. Wer hat sich nicht im Geschichtsunterricht mit der weltweiten Wirtschaftskrise Ende der 20er Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts befasst? Der spektakuläre Zusammenbruch der internationalen Aktienmärkte am 25. Oktober 1929, dem „Schwarzen Freitag“. Allein in den USA verschwanden damals etwa 14 Milliarden Dollar in einem schwarzen Loch. Das klingt nicht viel, war zu dieser Zeit aber fast dreimal soviel wie der Wert des gesamten in den USA umlaufenden Geldes.

So dramatisch stellt sich die Lage heute zum Glück nicht dar. Aber auch heute könnte das Wirtschaftswort des Jahres „Vertrauensverlust“ lauten.

Anfang 2002 schien noch alles klar: Der Aktienmarkt muss sich auf breiter Front erholen, das war die Meinung der meisten Analysten. Schließlich waren die Kurse schon 2000 und 2001 gesunken, und seit 1948 hat es in Deutschland keine drei aufeinanderfolgende Verlustjahre mehr gegeben. Bei einem DAX-Stand von 5200 Punkten zu Jahresbeginn 2002 lagen viele Zwölf-Monats-Prognosen in der Nähe von 6000 oder gar darüber. Sie wissen, wie weit wir von solchen DAX-Ständen entfernt sind.

Dabei sah es Anfang des Jahres gar nicht so schlecht aus. Trotz des Enron-Schocks von Ende 2001 hat der DAX bis Anfang April auf fast 5500 Punkte zugelegt. April/Juni war dann der Wendepunkt. Zu geopolitischer Unsicherheit und latenter Terrorangst kam Mitte 2002 mit Worldcom eine weitere spektakuläre Pleite, damit war das zarte Aufblühen der Aktienmärkte beendet. Die im Frühjahr 2000 begonnene Baisse konnte sich fortsetzen. Hinzu kam der schwelende Irak-Konflikt, der den Abwärtstrend weiter verstärkt hat, und bis heute das Parkett beherrscht.

Insgesamt fiel die Marktkapitalisierung der 30 größten deutschen Unternehmen von 890 Milliarden Euro im Dezember 2000 auf gerade noch 315 Milliarden im Dezember 2002 zurück.

Der Neue Markt leidet zusätzlich noch unter etliche selbst gemachten Problemen. Entsprechend waren die Verluste hier noch dramatischer. In absoluten Zahlen fiel der Nemax All Share von einer Marktkapitalisierung von rund 121 Milliarden Euro im Dezember 2000 auf einen Wert von knapp 10 Milliarden im Dezember 2002. Die Börsenumsätze sind auf bis zu einem Prozent der Spitzenumsätze geschrumpft. Dies alles ist nicht nur auf das Platzen einer spekulativen Blase zurückzuführen. Es hat vielmehr eine ganze Reihe von teilweise so dreisten Anlegerschädigungen gegeben, dass der Rückzug der Anleger von diesem Marktsegment niemanden wirklich verwundern kann. Dies beginnt bei unzulänglichen Zulassungsprospekten, setzt sich fort in flächendeckenden Verstößen gegen Rechnungslegungsstandards, im Fehlen von Risikomanagementsystemen, in falschen, verspäteten oder gar nicht erfolgten Ad hoc-Mitteilungen und anderem mehr. Dreiste Luftbuchungen bei Firmen wie Comroad und dem Moorhuhn-Entwickler Phenomedia ruinierten den Ruf des Neuen Marktes endgültig.

Der Versuch der Privatanleger, sich gegen diese Machenschaften mancher Vorstände zu wehren, bleibt leider allzu oft ein Versuch. Die deutschen Aktionäre haben sehr stumpfe Schwerter in der Hand, um sich gegen solch eklatante Verstöße zu wehren. Das deutsche Recht bietet den Aktionären nur eingeschränkt die Möglichkeit, direkt gegen die Organe eines Unternehmens beispielsweise auf Schadensersatz zu klagen. Dies geht hauptsächlich über eine Hilfskonstruktion mit dem „Schadensersatz-Paragraphen“ 823 Absatz 2 des BGB. Um sich damit durchzusetzen, muss den jeweiligen Vorständen allerdings Vorsatz nachgewiesen werden, was wie wir gerade bei aktuellen Fällen immer wieder sehen, nur schwer möglich ist. Dieser Zustand wird sich 2003 hoffentlich ändern. Wir fordern den Gesetzgeber daher auf, das Thema aktiv anzugehen und die Organhaftung auszuweiten.

Wir gehen mit unseren Forderungen an den Gesetzgeber aber noch einen Schritt weiter. Wir brauchen in Deutschland eine neue Klagemöglichkeit für Aktionäre. Dabei geht es uns nicht um die Einführung einer Sammelklage wie die in den USA übliche class action. Notwendig ist allerdings, die Möglichkeit zu schaffen, Kläger zusammenzufassen und dann einen Fall als Musterklage vor Gericht zu bringen. Entscheidend dabei ist, dass für die Zeit des laufenden Prozesses, die Verjährungsfrist für die anderen Aktionäre ausgesetzt wird. Dies ist zur zeit nicht der Fall.

Was kann nun denjenigen geraten werden, die Aktien mit hohen Verlusten im Depot haben, also auch Aktien der Unternehmen, die sich auf unserer DSW-Watchlist finden? Es bleibt die eher geringe Chance auf Schadensersatz, das meist vergebliche Warten auf eine Kursbesserung, oder die steuerliche Nutzung der Verluste. Wie aber sieht steueroptimales Verhalten aus? Wir haben dazu einen kleinen Fahrplan erarbeitet, der auf dem derzeitigen – zugegebenermaßen etwas unsicheren – Stand der Diskussion fußt:

Wie Sie dem Zeitplan entnehmen können, ist das entscheidende Datum der 21. Februar. Von diesem Tag an soll das Gesetz gelten.

Vorläufiger Zeitablauf der Bundesregierung für das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen:

20.11.2002 Kabinettsbeschluss über Regierungsentwurf

20.11.2002 Zuleitung des Entwurfs an den Bundesrat

05.12.2002 Beratung des Entwurf im Bundesratsfinanzausschuss

20.12.2002 Erste Beratung im Bundesrat

03.12.2002 Erste Lesung im Bundestag

Geplant:

21.02.2003 Zweite und Dritte Lesung im Bundestag (ab diesem Datum wäre das Gesetz in Kraft)

14.03.2003 Zweite Beratung im Bundesrat

Ende März 2003: Verkündung des Gesetzes

Was wird sich durch das Gesetz – falls es denn in der uns bekannten Form kommt – ändern?

Die einjährige Spekulationsfrist soll ersatzlos gestrichen werden. Der persönliche Steuersatz wird nicht mehr maßgebend sein, statt dessen soll eine pauschale Versteuerung von 15 Prozent auf Veräußerungsgewinne eingeführt werden. Mit dem Halbeinkünftverfahren läge die Besteuerung der Gewinne also bei real 7,5 Prozent.

Was heißt das nun für die Aktien, die vor dem 21. Februar 2003 gekauft wurden, die sogenannten Altfälle?

Bei diesen wird seitens des Gesetzgebers ein Gewinn von pauschal 10 Prozent unterstellt, wenn nichts anderes nachgewiesen wird.

Rechenbeispiel für sogenannte Altfälle

(Kauf der Aktien vor dem 21.2.2003):

Mögliche neue Regelung:

Wertpapierkauf 2001:

20.000 Euro.

Wertpapierverkauf nach dem 21.2.2003

30.000 Euro

Gewinn:

10.000 Euro

Für die Berechnung der Steuer nimmt der Gesetzgeber für alle sogenannten Altfälle einen Gewinn von 10 Prozent an, unabhängig von dem tatsächlichen Gewinn.

Steuerlich relevanter Gewinn in der Beispielrechnung:

3.000 Euro

Darauf müssen 7,5 Prozent Steuern bezahlt werden (15 % mit Halbeinkünfteverfahren): 225 Euro.

Sollte der tatsächlich realisierte Gewinn kleiner als 10 Prozent ausgefallen sein, muss dies nachgewiesen werden. Falls der Nachweis nicht geführt werden kann, bleibt es bei den angenommenen 10 Prozent und der entsprechenden Besteuerung.

Wer einen Verlust nachweisen kann, kann diesen ein Jahr rück- und unbegrenzt vortragen. Unabhängig davon, wie lange die Aktien bereits im Depot liegen. Dies ist insbesondere für die Aktionäre der DSW-Watchlist-Gesellschaften interessant. Nach der derzeit noch gültigen Regelung können Verluste nur gegen Gewinne aus anderen Veräußerungsgewinnen gerechnet werden, wenn die Aktien nicht länger als ein Jahr im Depot lagen. Diese Einschränkung fiele mit der Abschaffung der Spekulationsfrist weg.

Damit sind wir nun auch endgültig bei der DSW Watchlist 2003. Die Liste mit den 50 größten Kapitalvernichtern. Zum letzten Mal haben wir dieses Jahr eine separate Liste für den Neuen Markt berechnet, die man zynisch auch als Grabplatte für dieses Marktsegment bezeichnen könnte.

Die Liste wird Ihnen der Berliner DSW-Landesgeschäftsführer Dr. Malte Diesselhorst vorstellen.

Vielen Dank Herr Hocker,

zunächst möchte ich etwas zum technischen Aufbau der Liste sagen, die wir wieder mit Unterstützung der Zeitschrift Wertpapier erstellt haben.

Die Rangliste untersucht die Kursentwicklung der getesteten Standardtitel über drei verschiedene Zeiträume: Fünf Jahre, drei Jahre und ein Jahr. Grundlage für die Messung ist der Schlusskurs des letzten Handelstages im entsprechenden Jahr. Die erzielte Performance fließt anschließend mit festgelegten Gewichten in die Gesamtnote des Unternehmens ein.

5-Jahres-Performance: 50 Prozent

(max. +/- 500 Punkte)

3-Jahres-Performance: 30 Prozent

(max. +/- 300 Punkte)

1-Jahres-Performance: 20 Prozent

(max. +/- 200 Punkte)

Für den Neuen Markt sieht die Rechnung ein wenig anders aus. Hier wurden zwei Zeiträume mit in die Wertung genommen. Die Performance über ein Jahr und über zwei Jahre.

2-Jahres-Performance: 65 Prozent

(max +/- 650 Punkte)

1-Jahres-Performance: 35 Prozent

(max +/- 350 Punkte)

In den hinteren Spalten der Liste lassen sich die Ergebnisse der Unternehmen in den Jahren 2002 und 2001 ablesen. So wird klar erkennbar, wer in der Anlegergunst Federn lassen musste. Gleichzeitig gibt die Übersicht Aufschluss darüber, ob die Kursenttäuschung 2003 ein weiterer Mosaikstein im permanenten Niedergang des betreffenden Unternehmens ist oder doch wie beispielsweise bei MLP eine eher neue Entwicklung.

Die insolventen Unternehmen wurden von uns nicht in die Wertung genommen. Die Watchlist ist als Hilfe für die Sprecher der DSW entstanden, die jährlich rund 1000 Hauptversammlungen besuchen. Aus diesem Grund macht es wenig Sinn, Gesellschaften aufzulisten, die in diesem Jahr keine Hauptversammlung mehr abhalten werden.

Bei den Traditionsunternehmen gingen dieses Jahr 328 Werte an den Start. Bei den Neuer-Markt-Unternehmen wurden 297 Werte untersucht.

Bei den Standardwerten sind es, wie in den letzten Jahren auch, insbesondere die kleineren Nebenwerte, die sich in der Watchlist finden. Aber auch die Schwergewichte aus dem DAX sind heute nicht mehr davor gefeit, sich unter die 50 größten Kapitalvernichter einreihen zu müssen. Auf Platz 32 der Liste steht die Commerzbank, direkt dahinter MLP. Und Platz 42 wird von der HypoVereinsbank gehalten.

Mit großem Abstand angeführt wird die DSW-Watchlist der Standardwerte von der Gold-Zack AG, die 2002 noch auf Platz 30 zu finden war. Wer vor fünf Jahren Aktien dieser Gesellschaft gekauft hat, hat mehr als die Hälfte seines eingesetzten Kapitals verloren. Wer die Papiere Ende 2001 ins Depot holte, musste bis Ende 2002 sogar mit einem Verlust von 94,8 Prozent leben.

Platz 2 belegt mit WKM Terrain eine Beteiligungsgesellschaft aus München, die schon im letzten Jahr unter den Top-Ten der Liste zu finden war. Auch hier gab es für die Aktionäre nur wenig Grund zur Freude. Über 50 Prozent Verlust waren den Anlegern sicher, egal ob sie die Aktie ein, drei oder fünf Jahre im Depot hatten.

Komplettiert wird das Führungstrio von der K&M Möbel AG, die auf eine Gesamtpunktzahl von – 679 kommt.

Für den Neuen Markt sieht das Ergebnis aus den von Herrn Hocker genannten Gründen noch schwärzer aus. Gibt es bei den Standardwerten nicht eine AG mit einer Gesamtpunktzahl von – 900 oder gar noch darunter, sind es im Neuen Markt sechs Gesellschaften, die diesen Wert unterschreiten. – 1000 ist übrigens der schlechteste erreichbare Wert.

Gemeinsam mit jeweils – 930 Punkten führen zwei Unternehmen aus der Medienbranche die DSW-Watchlist des Neuen Marktes an. RTV Family, ein Anbieter von Kinder- und Familienprogrammen, und die BKN International, ein Unternehmen, das sich mit Filmrechten und Fernsehproduktionen befasst. BKN war in der Wertung der letzten Watchlist noch nicht enthalten. RTV ist von Platz 24 auf Platz 1 gerutscht. Rund 90 Prozent Verlust machten Aktionäre mit den Papieren der beiden Unternehmen.

Doch auch mit der dritten Medienaktie, der Produktionsfirma IM Internationalmedia, war kein Staat zu machen. 85,7 Prozent verloren die Anleger, wenn sie die Aktien Ende 2000 gekauft und Ende 2002 wieder verkauft haben. Im 1-Jahres-Vergleich lag der Verlust sogar bei 96,1 Prozent. Damit markiert der Wert in diesem Vergleichszeitraum den Negativrekord.

Vor diesem Hintergrund ist die Neuordnung der Börsen-Indices grundsätzlich der richtige Weg. Der TecDax bietet die Chance, den Neue-Markt-Malus vergessen zu machen, und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Zudem könnte so das Problem der geringen Liquidität behoben werden. Die Kapitalisierung etlicher Neue-Markt-Werte liegt unter der Grenze von 50 Millionen Euro, die als Minimalwert gilt, um von institutionellen Anlegern überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Entscheidend wird aber sein, was die Unternehmen aus dieser Chance machen. Sie müssen schon selbst mit ordentlicher Berichtsführung, solidem Geschäftsgebahren und guten Ergebnissen nachlegen. Schließlich schmeckt saurer Wein auch in neuen Schläuchen nicht.

DSW-Watchlist_2003_01.pdf

DSW-Watchlist 2003