Stellungnahme zur BMF-Konsultation zu MiFID II/MiFIR

Stellungnahme zu der

Konsultation des Bundesministeriums der Finanzen zu Erfahrungen und möglichem Änderungsbedarf im Hinblick auf die EU-Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) und die EU-Finanzmarktverordnung (MiFIR)

Die DSW bedankt sich für die Möglichkeit, gut ein Jahr nach der Einführung von MiFID II und MiFIR in Deutschland die Erfahrungen der deutschen Privatanleger mit den neuen Regelungen darzulegen.

Für eine umfassende Einordnung des mit MiFID II und MiFIR EU-weit neu eingeführten Regelwerks ist es von entscheidender Bedeutung, sich dessen Entstehungsgeschichte vor Augen zu führen. Die globale Finanzkrise 2008 hatte die Schwächen der bis dato existierenden Finanzmarktregulierung offengelegt. Die zuvor bestehenden Regelungen in Europa konnten weder die Funktionsweise noch die Transparenz der immer komplexer und umfangreicher werdenden Finanzmärkte sichern, noch konnten sie die Stabilität des Finanzsystems garantieren. Daneben wurde insbesondere auch deutlich, dass die Regelungen zum Anlegerschutz bei weitem nicht umfassend genug waren. Dies gilt vor allem für Falschberatungen von privaten Anlegern, insbesondere aufgrund von Fehlanreizen auf Seiten der Vermittler/Berater.

Diese Entwicklung war Anlass für die EU Kommission, den Rahmen für die Regulierung der Märkte für Finanzinstrumente — auch in Bezug auf den außerbörslichen Handel (OTC) — zu stärken. Ziel war es, die Transparenz zu erhöhen, Anleger besser zu schützen und das Vertrauen in den Kapitalmarkt wiederherzustellen. Vor diesem Hintergrund sollten auch nichtregulierte Bereiche erfasst werden und sichergestellt werden, dass Aufsichtsstellen angemessene Befugnisse zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten (vgl. Erwägungsgrund 4 der RICHTLINIE 2014/65/EU).

Die EU Kommission leitete damit einen Paradigmenwechsel ein: Während zuvor vor allem die Finanzdienstleistung und der Vertrieb reguliert wurden, wird seither auch das Produkt selbst — und zwar über seinen gesamten Lebenszyklus — stärker in den Mittelpunkt gestellt. Die neuen Regelungen erlegen Herstellern und dem Vertrieb durch das Produktfreigabeverfahren, den Prozess zur Kommunikation zwischen Hersteller und Vertrieb sowie den Produktüberwachungsprozess Pflichten auf und zwar von der Herstellung über den Umlauf im Markt bis zum Produktende.

Diese (harmonisierte) Umsetzung von MiFID II/MiFIR in Europa war und ist von erheblicher Bedeutung für private Anleger. Als Deutschlands mitgliederstärkste Anlegervereinigung erreichen uns jährlich über 30.000 Anfragen von Privatanlegern, die sich zu gut einem Drittel auf die Themen Anlageberatung und Anlagevermittlung beziehen. Zentrale Fragen sind dabei immer wieder solche nach produkt- und vertriebsbedingten Kosten, Interessenskonflikten oder der Wirkungsweise von Anlageprodukten. Dabei ist es beachtlich, dass selbst bei den doch eher als wertpapier-affin einzuordnenden Mitgliedern der DSW offensichtlich ein hohes Maß an qualitativ hochwertigem Beratungs- und Aufklärungsbedarf mit Blick auf Abläufe, Finanzierung und auch die Interessenlage bei der Anlageberatung durch Banken, Sparkassen und andere Vertriebsinstitute besteht.

Die Umsetzung von MiFID II/MiFIR wird deshalb von der DSW als richtiger Schritt in Richtung hin zu einem verbesserten Anlegerschutz gewertet, dabei ist das Regelwerk jedoch in Teilbereichen über das Ziel hinausgeschossen. Die DSW möchte deshalb die Gelegenheit nutzen und dem Eindruck entgegentreten, dass die neuen Regelungen neben dem vielzitierten Aufwand und den Kosten auf Seiten der Hersteller und des Vertriebs dem Anleger, insbesondere dem privaten Anleger, nicht nutzen würden. Vielmehr haben die Neuregelungen aus unserer Sicht dazu geführt, dass sich sowohl Hersteller als auch der Vertrieb stärker als zuvor Gedanken über Produkte und Zielmärkte machen (müssen). So sind beispielsweise Einschätzungen zur Auswahl eines bestimmten Produktes für einen bestimmten Zielmarkt besser zu dokumentieren. Außerdem erhalten Privatanleger aufgrund der neuen Verpflichtung der Vertriebsunternehmen deutlich mehr und besser aufbereitete Informationen über die Produktinformationsblätter inklusive ex-ante Kosteninformation. So eröffnet sich dem Anleger die Möglichkeit, Produkte vor dem Kauf auch unter Kostengesichtspunkten sehr viel besser zu vergleichen als dies bisher möglich war. Auch die Regelungen zum Taping sehen wir grundsätzlich als positiv an.

Aus Sicht der DSW zeigt sich 14 Monate nach Einführung der neuen Regelungen daher insgesamt ein differenziertes Bild, was wir an einigen ausgewählten Beispielen verdeutlichen möchten:

* Positiv hervorzuheben ist beispielsweise ein hohes Einsparpotenzial auf Seiten der Anleger. So hat die britische Finanzaufsicht FCA Ende Februar 2019 eine Einschätzung veröffentlicht (https://www.fca.org.uk/news/speeches/andrew-bailey-keynote-speech-mifid-ii-european-independent-research-providers-association), dass allein im ersten Jahr für Fondsanleger (u.a. durch Senkungen der nunmehr offen zu legenden Kosten für Research) Einsparungen von rd. 180 Mio. Pfund durch die neuen MiFID-Regelungen generiert wurden und über die nächsten fünf Jahre Einsparungen im Bereich von 1 Mrd. Pfund in UK erwartet werden, von denen der Privatanleger zumindest mittelbar profitieren wird.

* Anders als befürchtet, werden die privaten Anleger durch die neuen Regelungen auch nicht von Investitionen in Aktien und Aktienfonds abgeschreckt. Vielmehr zeigt die aktuelle DAI-Studie (https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/studien/2019-03-06%20Aktieninstitut%20Aktionaerszahlen%202018.pdf), dass die Zahl der Aktionäre und insbesondere der Besitzer von Aktienfonds in 2018 um rd. 250.000 angestiegen ist und mit 10,3 Mio. nunmehr den höchsten Wert seit 2007 aufweist. Der positive Trend der vergangenen Jahre setzt sich damit, trotz oder vielleicht auch wegen MiFID, weiter fort.

* Auch zeigt die Beschwerdestatistik  der BaFin (https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/BaFinJournal/2019/bj_1902.pdf?__blob=publicationFile&v=7) in 2018 zwar einen Anstieg, besonders bei Wertpapierthemen. Dennoch ist das Niveau der Wertpapierthemen bei den Beschwerden mit 676 in 2018 (nach 522 in 2017) weiterhin – im Vergleich zu anderen Geschäftsbereichen - gering, es war im Jahresverlauf darüber hinaus auch rückläufig und pendelte sich im vierten Quartal wieder nahezu auf dem Vorjahreswert ein.

* Auch die von Seiten der Finanzinstitute befürchtete Marktkonsolidierung beispielsweise bei den Vermögensverwaltern als Folge der hohen Regulierungsdichte ist bislang nicht zu beobachten: Im Kalenderjahr 2018 haben 22 der rund 700 Finanzdienstleister eine Vermögensverwaltungslizenz nach Paragraf 32 Kreditwesengesetz (KWG) der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) erhalten. Im gleichen Zeitraum haben 28 zugelassene Unternehmen ihre Lizenz aufgegeben.

* Laut einer aktuellen, europaweiten Studie des CFA Instituts (https://cfainstitute.org/-/media/documents/survey/cfa-mifid-II-survey-report.ashx) hat demgegenüber im Bereich Aktienresearch eine Marktbereinigung begonnen. So steigt ausweislich der Studie der Wettbewerbsdruck auf Research-Anbieter, da die Research-Budgets sinken. Dies betrifft in besonderem Maße die großen Anbieter. Interessanterweise zeigt die Studie aber auch, dass auf der Käuferseite mehrheitlich keine Veränderung in der Qualität der Aktienanalyse bemerkt wurde.

Nichtsdestotrotz sehen auch wir, dass bei der Einführung dieses umfassenden Regelwerks Nachbesserungsbedarf besteht. Vor diesem Hintergrund hat die DSW im Zeitraum Februar bis März 2019 eine Umfrage unter ihren Mitgliedern und sonstigen privaten Anlegern vorgenommen. Unter dem Titel „MiFID II: Was bringen die neuen Finanzmarktregeln dem Anleger?“ haben wir Anleger um eine generelle Bewertung der im Januar 2018 eingeführten Finanzmarktregeln sowie um eine Einordnung gebeten, welche neuen Informationen von Anlegern als besonders interessant erachtet werden und inwieweit sich Anleger durch die neuen Produktinformationsblätter besser +informiert fühlen. Abschließend haben wir die Einstellung der privaten Anleger zu möglichen Regelerleichterungen für erfahrene Anleger abgefragt. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass eine deutliche Mehrheit der DSW-Mitglieder und damit der Umfrageteilnehmer zu den erfahrenen und wertpapier-affinen Anlegern zu zählen ist. An unserer Online-Umfrage teilgenommen haben knapp 800 Privatanleger, die Abschlussquote lag bei ca. 64 Prozent.

 

Zusammenfassend lassen sich aus der DSW-Umfrage folgende Kernaussagen treffen:

* Die teilnehmenden Anleger haben die Anfang 2018 eingeführten Regeln fast einmütig negativ bewertet (rd. 94 Prozent). Hauptgrund hierfür war allerdings ganz überwiegend die seither deutlich eingeschränkte Handelbarkeit vieler Wertpapiere, insbesondere von einer Vielzahl von Anleihen. Diese Einschränkung resultiert seit 2018 zum einen aus dem nicht scharf abgegrenzten Anwendungsbereich der PRIIPs-Regulierung sowie andererseits aus den MiFID-Regelungen zur Zielmarktbestimmung. Insbesondere mit Blick auf die Zielmarktbestimmung scheinen verschiedene Vertriebsunternehmen eine besonders zurückhaltende Einstufung vorzunehmen und einen Vertrieb an private Anleger nur in enger Auslegung zuzulassen. Dies führt im Ergebnis zu einer eingeschränkten Handelbarkeit. Viele Umfrageteilnehmer bezeichnen deshalb die neuen Regelungen als „Bevormundung“ oder „Einschränkung der Privatautonomie“ bzw. „Entmündigung“.

* Dagegen bewertet die überwiegende Zahl der Umfrageteilnehmer die neuen Informationen zu den Kosten (ex-ante Kostenausweis) als „positiv“ oder „sehr positiv“.

* Bedenklich ist allerdings das Ergebnis der Befragung zum Informationsgehalt der neuen Basisinformationsblätter (BIBs). Die deutlich überwiegende Zahl der teilnehmenden Privatanleger gibt an, dass sie sich durch die neuen BIBs nicht besser informiert fühlt (75 Prozent). Aus Sicht der Teilnehmer sind vor allem die hierin enthaltenen Szenarienanalysen irreführend. Des Weiteren erstaunt, dass private Anleger den Prospekt, der verbindlich ist, den BIBs vorziehen. Manche wollen sogar ganz auf die BIBs verzichten.

* Deshalb erscheint es nur folgerichtig, dass gut 86 Prozent der Anleger auf die Frage, wie sie zu möglichen Regelerleichterungen für erfahrene Anleger stehen, diese als „sehr sinnvoll“ oder „sinnvoll“ erachten.

Aus Sicht der DSW ergeben sich aus den geschilderten Erfahrungen der Anleger folgende Bereiche, in denen Nachbesserungsbedarf besteht:

1. Vorvertragliche Produktinformationen

Mangelnde Harmonisierung

Die DSW hat seit jeher betont, dass eine erhöhte Transparenz im Bereich der vorvertraglichen Informationsübermittlung einer staatlich verordneten Regulierung bzw. Produktintervention vorzuziehen ist. Dabei möchten wir unterstreichen, dass wir die Zurverfügungstellung von qualitativ hochwertigen Informationen dem Weg der Bevormundung vorziehen. Insbesondere sollte Privatanlegern der Weg zu bestimmten Anlageformen nicht aufgrund einer falsch verstandenen (staatlichen) Fürsorgepflicht versperrt werden. Und auch das Instrument der Produktintervention sehen wir zwar als notwendig an, möchten dies aber als Ultima Ratio Instrument beibehalten sehen.

Dennoch macht es die Informationsasymmetrie zwischen privaten Anlegern einerseits und professionellen Produktanbietern andererseits notwendig, dass das Risiko, dem sich der private Anleger aussetzt ebenso klar erkennbar gemacht wird, wie die Ertragschancen und die Kosten, die dem betreffenden Finanzprodukt innewohnen – und das grundsätzlich bevor der private Anleger durch einen Vertrag oder ein Angebot gebunden ist. Aus diesem Grund kommen der Vergleichbarkeit und der Verständlichkeit der Basisinformationsblätter für die privaten Anleger eine entscheidende Rolle zu. Speziell bei komplexen Finanzprodukten, wie PRIIPs, ist es Anlegern ansonsten kaum möglich, Qualität, Risikoprofil und Kostenstrukturen umfassend einzuschätzen, zu vergleichen und zu bewerten.

Problematisch ist aus unserer Sicht, dass Anlegern für verschiedene Produkte, beispielsweise Investmentfonds, geschlossene Fonds oder Versicherungsprodukte, unterschiedliche Informationsblätter zur Verfügung gestellt werden. So existieren, abgesehen von den wesentlichen Anlegerinformationen (WAI) für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAWs) und bestimmte Alternative Investmentfonds (AIFs) auch noch das Vermögensinformationsblatt (VIB) für geschlossene Fonds, das Produktinformationsblatt (PIB) für Aktien oder das Basisinformationsblatt (BIB) für Versicherungsanlageprodukte und andere PRIIPs. Eine Vergleichbarkeit über verschiedene Produktgruppen hinweg ist aufgrund der mangelnden Standardisierung der zur Verfügung gestellten Informationsblätter für den Anleger jedoch nicht gegeben.

Neben den regulierten Produktinformationsblättern werden nach unserem Kenntnisstand außerdem von einzelnen Banken eigene sog. „Produktporträts“ angeboten, was zu weiterer Verwirrung der Anleger beitragen dürfte.

Inkonsistenter Kostenausweis

Im Übrigen hat sich gezeigt, dass die unterschiedliche Methodik der Kostenberechnung nach MiFID und PRIIPs und der in den WAI zur Verfügung zu stellenden Kosteninformationen zu unterschiedlichen Ergebnissen in den auszuhändigenden Informationsblättern führen, was mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung der Anleger beiträgt. Während nach MiFID II alle laufenden Kosten insgesamt angegeben werden können, verlangt PRIIPs einen Ausweis der laufenden Kosten getrennt nach Transaktions- und sonstigen Kosten. Die Transaktionskosten werden aber von der für die WAI geltende OGAW-Richtlinie wiederum überhaupt nicht verlangt. Darüber hinaus verlangt PRIIPs die Darstellung der Kosten auf Basis der voraussichtlichen Haltedauer und des prognostizierten Ertrags in Prozent pro Jahr wohingegen MiFID II hierzu keine genauen Vorgaben macht außer, dass Kostenschwankungen und Kostenspitzen zu veranschaulichen sind. In Deutschland wird dies so interpretiert, dass die Kosten für das Jahr anzugeben sind, in dem sie auch tatsächlich angefallen sind und nicht als Durchschnittswert, wie nach PRIIPs.

Da gerade die Kosten auf die Performance von Anlageprodukten, insbesondere solche, die an Privatanleger vertrieben werden, einen sehr hohen Einfluss haben,  ist es aus Sicht der DSW unerlässlich, dass Privatanleger hier vollständige aber auch nachvollziehbare und vor allem vergleichbare Informationen zu den Kosten der für sie interessanten Anlageprodukte erhalten.

Daneben lässt sich zum Beispiel die Frage stellen, ob die Einführung des Begriffs „neutrales Szenario“ (PRIIPs BIB) nicht schon per se als irreführend anzusehen ist. Denn dieser Begriff vermittelt dem Anleger möglicherweise den Eindruck eines Investments im Rahmen eines risikofreien also verlustfreien Szenarios, was nicht zwingend der Fall ist.

Die DSW empfiehlt insoweit eine Überarbeitung der Angaben in den diversen vorvertraglichen Informationsblättern und eine weitergehende Harmonisierung. Dies gilt insbesondere für die Angaben zu Kosten und Wertentwicklung/Performance und die hier zugrunde gelegte Methodik. Maßstab sollte hierbei das für OGAW und bestimmte AIFs zu erstellende Produktinformationsblatt, das WAI, sein, welches sich mit der übersichtlichen und vergleichbaren Darstellung von Informationen für Anleger unter anderem zu Kosten, Wertentwicklung und Risiken des jeweiligen Fonds in Deutschland aber auch europaweit etabliert hat.

Bei jeglichen Harmonisierungsbestrebungen ist im Übrigen aus unserer Sicht die Perspektive des Anlegers in den Mittelpunkt jeglicher Regulierung zu stellen und nicht mehr die einzelnen Produktkategorien. Private Anleger suchen in der Regel keine bestimmte Produktkategorie, sondern vielmehr Lösungen zur Erreichung eines bestimmten finanziellen Ziels. Die hierfür zur Verfügung stehenden Produkte sollten insofern gattungsübergreifend so weit wie möglich vergleichbar dargestellt werden.

Information overload

Die DSW möchte an dieser Stelle noch einmal gesondert darauf hinweisen, dass wir die Zurverfügungstellung von Informationen einer (staatlichen) Bevormundung der Anleger vorziehen. Die Vielzahl der insbesondere vorvertraglich zur Verfügung zu stellenden Informationen führt jedoch nur dann zu einer besseren Aufklärung der Anleger, wenn diese Informationen nach ihrer Wesentlichkeit kategorisiert würden.

2. Einführung eines elektronischen Registers für vorvertragliche Informationsblätter

Um sicherzustellen, dass private Anleger bereits vor Vertragsschluss eigenständig die Möglichkeit erhalten, verschiedene Finanzprodukte zu vergleichen, plädiert die DSW außerdem für die Einrichtung eines elektronischen Registers, in dem nicht nur wie bisher VIBs, sondern auch PIBs sowie sonstige vorvertragliche Informationsblätter für Finanzprodukte (WAI, BIB etc.) zentral abrufbar und dauerhaft, zumindest über einen Zeitraum von 10 Jahren, zugänglich sind und auch bleiben. Denn es zeigt sich, dass viele Hersteller von Finanzprodukten jeweils nur das aktuell gültige Informationsblatt auf ihrer Website zugänglich machen. Anleger können aber möglicherweise auch veraltete Informationsblätter benötigen, beispielsweise im Rahmen eines Gerichtsverfahrens.

Ein zentrales Register, das zum Beispiel bei der nationalen oder europäischen Aufsichtsbehörde angesiedelt sein könnte, bietet den Vorteil, dass auch der selbstentscheidende Anleger jederzeit die gewünschten Informationen zu den verschiedensten Finanzprodukten an einem einzigen Ort und vorzugsweise elektronisch abrufen kann.

3. Eingeschränkte Handelbarkeit bestimmter Wertpapiere

Die oben bereits angesprochene Beschränkung privater Anleger bei der Handelbarkeit von Anleihen scheint nach unserem Kenntnisstand (mittlerweile) ein vorwiegend deutsches Problem zu sein. Während Anfang des Jahres 2018 eine Vielzahl von Produkten mangels Vorliegens eines Produktinformationsblattes nach PRIIPs für private Anleger nicht handelbar war, hören wir aus dem Kreise unserer Mitglieder nunmehr vermehrt (und verweisen insoweit auch auf die beigefügte Umfrage), dass von Anleiheemittenten (Herstellern), die nicht den MiFID-Regelungen unterfallen, kein Zielmarkt bestimmt wurde. Dies hat zur Folge, dass Privatanleger nur dann die betreffenden Produkte handeln können, wenn in diesem Fall von den Vertriebsunternehmen ein Zielmarkt bestimmt würde, was in vielen insbesondere Anleihe-Fällen offenbar nicht geschieht. Daneben scheint die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der PRIIPs-Verordnung mit Blick auf Anleihen nicht klar genug erfolgt zu sein mit der Folge, dass Vertriebsunternehmen bestimmte Anleihen ohne PRIIPs BIB nicht an Privatanleger zum Handel freigeben. Interessanterweise scheinen vergleichbare Probleme in anderen europäischen Mitgliedsstaaten nicht oder zumindest nicht in gleichem Maße zu bestehen. Dies veranlasst uns, eine Überprüfung der Anwendung der MiFID II/MiFIR bzw. PRIIPs-Regeln durch deutsche Vertriebsunternehmen anzuregen.

Insgesamt ergibt sich ein für Privatanleger derzeit deutlich verringertes Produktangebot, was insbesondere auch deshalb für Unmut sorgt, weil

* Produkte, die vor dem 3.1.2018 von einem privaten Anleger erworben wurden, diesem nunmehr nicht mehr zum Handel zur Verfügung stehen;

* dasselbe Produkt bei der einen Bank handelbar ist, bei einer anderen wiederum nicht;

* Anlegern nicht zu vermitteln ist, weshalb auch der Verkauf bestimmter Produkte nicht mehr möglich sein soll.

Aus Sicht der DSW ist hier dringender Handlungsbedarf gegeben um sicherzustellen, dass private Anleger künftig wieder Anleihen handeln können. Denn grundsätzlich begegnet die DSW restriktiven Vorschriften, die Privatanleger von der Anlage in bestimmte Wertpapiere ausschließen, mit großen Bedenken. Wir sind der Ansicht, dass jeder Anleger selbstbestimmt entscheiden können soll, welche Investition er mittels welchen Wertpapiers tätigen möchte, oder eben nicht. Dies gilt insbesondere für Anleihen, die ein geringeres Risiko aufweisen als beispielsweise Optionsscheine oder Zertifikate. Die Entscheidungshoheit sollte ihm weder durch den Gesetzgeber noch durch ein Vertriebsunternehmen genommen werden.

Die DSW schlägt insofern vor, dass:

* Die Bundesregierung eine Überprüfung der Anwendung der MiFID II/MiFIR bzw. PRIIPs-Regeln durch deutsche Vertriebsunternehmen veranlasst;

* die Bundesregierung darauf hinwirkt, dass eine klare Abgrenzung bzw. Definition des Anwendungsbereichs gemäß PRIIPs erfolgt;

* in den Fällen, in denen von Anleiheemittentenseite kein PRIIPs BIB erstellt wird, der Vertrieb verpflichtet wird, ein solches zu erstellen;

* in den Fällen, in denen von Anleiheemittentenseite (Hersteller) kein Zielmarkt für eine Anleihe bestimmt wurde, diese Verpflichtung ebenfalls dem Vertrieb auferlegt wird.

Aus Sicht der DSW wird die Kombination dieser Maßnahmen dazu beitragen, den praktisch gänzlich zum Erliegen gekommenen Anleihemarkt wieder für Privatanleger zu öffnen.

4. Erleichterungen für erfahrene Anleger (opt-out)

Schließlich schlägt die DSW vor, dass (als semi-professionell einzustufende) Anleger auf Wunsch auf die Zurverfügungstellung bestimmter Informationen verzichten können sollen, sog. opt-out. Hierdurch könnte und sollte den verschiedenen Anlegertypen – vom sehr unerfahrenen und damit erhöht schutzbedürftigem Verbraucher bis hin zum als semi-professionell einzustufenden Anleger – Rechnung getragen werden. Als eine Art Blaupause hierfür könnte hier die bis 2002 bestehende Figur der Börsentermingeschäftsfähigkeit dienen.

5. Geeignetheitserklärung und Beweislastumkehr

Dass das Beratungsprotokoll durch die Geeignetheitserklärung ersetzt wurde, haben wir im Vorfeld der Ersetzung grundsätzlich positiv goutiert. Denn nach unseren Erfahrungen waren die Beratungsprotokolle nicht nur im Rahmen des Beratungsprozesses hinderlich. Zugleich haben die Beratungsprotokolle auch dazu geführt, dass sich die Beweissituation für die möglicherweise fehlerhaft beratenen Anleger verschlechterte, da sie den Sachverhalt rund um das Beratungsgespräch für die Zukunft und damit auch für den Beweis möglicher Schadensersatzansprüche in Stein meißelten. Bedauerlicherweise ist aus Anlegersicht einmal mehr festzustellen, dass durch die Einführung der Geeignetheitserklärung keine Verbesserung im Vergleich zum Beratungsprotokoll erkennbar ist. Auch im Rahmen der Geeignetheitserklärung wird weiterhin viel mit Textbausteinen gearbeitet anstatt individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Anlegers einzugehen.

Daneben, und das wiegt sehr viel schwerer, liegt die Beweislast weiter beim Anleger, wobei die Geeignetheitserklärung als Beweisgrundlage dient. Auch heute noch ist der Anleger in einer Situation, dass er darlegen und beweisen muss, dass er nicht pflichtgerecht informiert worden ist.

Zwar dienen die durch MiFID II/MiFIR neu geschaffenen Regelungen dem Ziel, die Pflichten der Anbieter und die Transparenz der Produkte zum Vorteil der Anleger zu erhöhen. Dies ist sicherlich ein uneingeschränkt unterstützenswerter Ansatz. Wir hätten jedoch unseres Erachtens bereits heute in der Praxis die notwendige und wirkungsvolle Transparenz und die sachgerechte Darstellung der Situation in den Anlagevehikeln, wenn eine Beweislastumkehr eingeführt würde. Dann müssten die Anbieter beweisen, dass sie den Anleger richtig informiert haben. Eine Waffengleichheit wird nur dann möglich sein, wenn die Partei die Dinge darzulegen und zu beweisen hat, zu deren Vorlage und Transparenz sie verpflichtet ist. Das Informationsdefizit auf der Seite der Anleger muss nicht nur durch eine Erhöhung der Informationspflichten, sondern flankierend vor allem auch durch eine Beweislastumkehr kompensiert werden, und zwar unabhängig von Produkt und dem Vertriebsweg.

 

Zusammenfassend lässt sich aus Sicht der DSW festhalten, dass das Ziel, das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte wiederherzustellen nur dann gelingen wird, wenn Nachbesserungen an dem derzeit bestehenden Regelungswerk vorgenommen werden. Neben einer Harmonisierung der verschiedenen Regelungswerke wie 

MiFID II, PRIIPs und für den Versicherungsbereich zusätzlich noch IDD sowie der Einführung der Beweislastumkehr und eines elektronischen Registers halten wir es daneben für notwendig, das Spannungsfeld Anleger- vs. Verbraucherschutz bei der Regulierung künftig wieder stärker zu berücksichtigen. Dies könnte beispielsweise durch die Einführung einer opt-out Option für semi-professionelle Anleger erfolgen. Eine solche würde im Zusammenspiel mit der von uns ebenfalls vorgeschlagenen Kategorisierung der Informationen nach ihrer Wesentlichkeit dazu beitragen, dass private Anleger nur die Informationen erhalten, die sie wünschen bzw. die für sie und ihre Anlageentscheidung relevant und wesentlich sind.

Düsseldorf, im März 2019