DSW-Watchlist 2006

In der DSW-Watchlist 2006 wurden alle im Prime Standard der Deutschen Börse gelisteten Unternehmen analysiert, die seit mindestens fünf Jahren notiert sind. Herausgekommen ist eine Liste der 50 Unternehmen, über die betroffene Anleger sich wohl auch dann nicht freuen würden, wenn in Sachen Anlegerschutz in Deutschland alles zum Besten stände.

Teilnehmer:

Herr Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer

Herr Jürgen Kurz, Pressesprecher

Es gilt das gesprochene Wort

Bevor ich zur DSW-Watchlist komme, möchte ich kurz darauf eingehen, was in Sachen Anlegerschutz in diesem Jahr kommt und was aus Sicht der DSW fehlt.

Im Jahr 2005 wurden im Bereich Anlegerschutz etliche gesetzliche Neuerungen auf den Weg gebracht, die im laufenden Jahr erstmals Wirkung zeigen. Betroffen sind die Hauptversammlungen, die Klagemöglichkeiten von Anlegern sowie die Transparenz der Aktiengesellschaften.

„Zu lang“, „zu ineffizient“, „für ausländische Investoren nicht nachvollziehbar“ lauten die am häufigsten genannten Kritikpunkte, wenn über hiesige Aktionärstreffen diskutiert wird. Obwohl die Realität meist anders aussieht – im Schnitt sind deutsche Hauptversammlungen nach rund drei Stunden beendet – wurde der Gesetzgeber aktiv. Ergebnis ist das seit November 2005 gültige Gesetz zur Unternehmensintegrität und

Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG).

Das UMAG gibt Versammlungsleitern erstmals die Möglichkeit, das Fragerecht der Aktionäre auf Hauptversammlungen zu beschränken. Bisher durfte lediglich die Redezeit eingeschränkt werden. Ziel der Maßnahme ist es, so genannten „räuberischen Aktionären“ das Leben ein wenig schwerer zu machen. Sie sollen auf der Suche nach einem Grund zur Anfechtung eines Beschlusses nicht mehr ellenlange Fragenkataloge verlesen können. Ob das Problem so tatsächlich in den Griff zu bekommen sind, ist fraglich. Besteht doch die Gefahr, dass da wo vorher Einer mit 100 Fragen aufgetaucht ist, demnächst eben 10 mit jeweils 10 Fragen sein werden.

Mehr Rechte bekommen die Aktionäre durch das UMAG, wenn es darum geht, Missstände im Unternehmen zu klären. Ein Prozent des Grundkapitals, oder Aktien im Nennwert – leider nicht Börsenwert – von 100.000 Euro, müssen auf einer Hauptversammlung zustimmen, um etwa einen Sonderprüfer einzusetzen. Bisher lagen die Grenzen bei zehn Prozent des Grundkapitals, respektive einer Millionen Euro Nennwert.

Aber nicht nur rund um die Hauptversammlung ändert sich einiges. Mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) sollen Verfahren schneller und effizienter werden. Angestoßen wurde das KapMuG unter anderem durch den Fall „Deutsche Telekom“, der auch als einer der Ersten nach dem neuen Gesetz verhandelt werden soll. Rund 2500 Klagen, hinter denen etwa 17.000 Kläger stehen, sind am Frankfurter Landgericht gegen das ehemalige Staatsunternehmen anhängig. Alle Kläger haben im Jahr 2000 im Rahmen des dritten Börsengangs der Telekom T-Aktien gekauft. Rund 63 Euro je Anteilsschein mussten die Anleger damals zahlen. Danach ging es mit dem Kurs Berg ab. Der Vorwurf der betroffenen T-Aktionäre lautet immer gleich: Das Unternehmen hat sein Immobilienvermögen falsch bewertet, um sich für den Börsengang wertvoller zu machen.

Nach altem Recht hätten die Geschädigten vor allem Geduld gebraucht. Der zuständige Richter prognostizierte eine Dauer von gut und gern 15 Jahre, bis alle Klagen abgearbeitet sind. Nun soll das KapMuG helfen, die Prozessdauer zu verkürzen. Statt alle Klagen einzeln durchexerzieren zu müssen, reicht es jetzt aus, wenn das Oberlandesgericht über die Klage einiger ausgewählter Musterkläger entscheidet. Das Urteil gilt dann für alle Geschädigten. Nach Ansicht der DSW weist das Gesetz bei allen Schwächen im Detail in die richtige Richtung. Wie sich das neue Verfahren bewährt, wird allerdings erst die Praxis zeigen.

Seit dem 3. August 2005 ist das Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetz (VorstOG) in Kraft. Es gilt ab dem laufenden Geschäftsjahr. Was in der Konsequenz bedeutet, dass die Aktiengesellschaften erst 2007 die Gehälter ihrer Vorstände einzeln ausweisen müssen. Doch bereits in diesem Jahr zeigt die Norm Wirkung. So hat nach langem Zögern DaimlerChrysler, unter Vorstandschef Jürgen Schrempp noch einer der härtesten Gegner der Offenlegung, seinen Widerstand aufgegeben und wird künftig die Gehälter seiner Vorstände individuell ausweisen.

Klar ist allerdings schon jetzt, dass auch ab 2007 nicht alle AGs die Gehälter ihrer Chefs offen legen werden. Drücken kann sich, wer es schafft, dass 75 Prozent der auf der Hauptversammlung vertretenen Aktien gegen die Transparenz stimmen. Erich Sixt, Vorstandsvorsitzender und Großaktionär des gleichnamigen Münchner Autovermieters, hat dieses so genannte „Opting-Out“ bereits genutzt, genau wie Wendelin Wiedeking, Chef der Porsche AG. Die Fälle zeigen deutlich die Gefahr der Opting-out-Klausel. Bei Unternehmen mit Großaktionären kann es zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft kommen. Auf der einen Seite die Großen, die aufgrund ihrer Position die Gehälter der Vorstände sowieso kennen, und auf der anderen Seite die Privataktionäre, denen der Einblick verweigert wird.

Lassen Sie mich jetzt noch einen kurzen Blick auf die Bereiche werfen, die der Gesetzgeber bisher noch nicht angegangen ist.

Zu nennen ist hier die fallende Präsenz auf den Aktionärstreffen deutscher Unternehmen. 2005 waren bei den 30 im DAX notierten Gesellschaften durchschnittlich gerade einmal 45,87 Prozent der stimmberechtigten Anteilsscheine auf den Veranstaltungen vertreten. Für das laufende Jahr erwarten wir einen weiteren Rückgang. Damit werden Zufallsmehrheiten immer wahrscheinlicher. Eine Möglichkeit, den HV-Besuch wieder attraktiver zu machen, wäre ein Dividendenbonus für Anleger, die auf den Aktionärstreffen ihre Stimmrechte ausüben oder vertreten lassen. Hier muss der Gesetzgeber es den Unternehmen erlauben, per Satzungsänderung zu bestimmen, dass HV-Besucher eine solche zusätzliche Gewinnausschüttung erhalten.

Ebenfalls aktiv werden muss die Politik bei dem Thema „direkte Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten gegenüber ihren Aktionären“. Anleger, die auf falsche Daten hereingefallen sind, haben nach gegenwärtiger Rechtslage in Deutschland selbst dann kaum eine Chance auf Schadenersatz, wenn die Fehlinformationen direkt vom Unternehmensvorstand kommen. Schließlich gilt es nicht nur zu beweisen, dass die Zahlen falsch waren. Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass die Kaufentscheidung ausschließlich auf der Fehlinformation beruhte. Hier muss endlich eine direkte Haftung der Manager her. Wer den Kapitalmarkt wissentlich falsch informiert, wie dies etwa die Haffa-Brüder als EM.TV-Chefs gemacht haben, muss schadenersatzpflichtig sein. Ohne zusätzliche Nachweise seitens der Geschädigten. Der Weg wäre nicht sehr weit. Das Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz (KapInHaG), das genau diese Lücke im Anlegerschutz schließen sollte, liegt fix und fertig vor. Aufgrund des massiven Widerstands seitens der Wirtschaftsverbände ließ die Rot-Grüne Regierung den Entwurf aber in der Schublade verschwinden. Die neue Regierung sah leider noch keinen Anlass, ihn wieder heraus zu holen.

Nach diesem Exkurs komme ich nun zu den 50 Unternehmen, über die betroffene Anleger sich wohl auch dann nicht freuen würden, wenn in Sachen Anlegerschutz in Deutschland alles zum Besten stände. Denn schlechtes Management und daraus resultierende Kursverluste werden auch in Zukunft nicht einklagbar sein. Das sind Risiken, die Anleger mit ihrer Investitionsentscheidung, die ja immer auch ein Vertrauensbeweis für die jeweilige Unternehmensführung darstellt, nun einmal bewusst eingehen. Leider sind nicht alle Unternehmen dieses Vertrauensbeweises auch würdig.

Entstanden ist die DSW-Watchlist als Hilfestellung für die Hauptversammlungssprecher der Schutzvereinigung. Ziel war es, ein Instrument zu entwickeln, anhand dessen es einfach und schnell möglich ist, Problemfälle unter den Aktiengesellschaften herauszufiltern. Seit einigen Jahren machen wir die Watchlist der Öffentlichkeit zugänglich. Für die Anleger eine wichtige Information, werden hier doch Risiken und längerfristige Entwicklungen sichtbar. Dabei kann die Investition in ein Unternehmen, das sich auf unserer Liste befindet, durchaus Sinn machen. Schließlich wird gerade mit Turn-around-Kandidaten das meiste Geld verdient. Allerdings müssen die Anleger sehr genau hinschauen, ob das Licht, dass sie am Ende des Tunnels zu sehen glauben, nicht doch der entgegenkommende Zug ist.

Wie schon in den vergangenen Jahren haben wir die Watchlist wieder gemeinsam mit unserer Mitgliederzeitschrift WERTPAPIER erstellt. Analysiert wurden alle im Prime Standard der Deutschen Börse gelisteten Unternehmen, die seit mindestens fünf Jahren notiert sind. Insgesamt waren das 313. Die AGs, die lediglich im General Standard notiert sind, also die Transparenzanforderungen des Prime Standards nicht erfüllen, haben wir bewusst nicht mit in die Analyse einbezogen. Sie sind aus unserer Sicht für eine Anlage für Privatanleger nicht empfehlenswert. Dass aber auch die Notierung im Prime Standard keine Garantie für Kursgewinne ist, macht die DSW-Watchlist mehr als deutlich. Der Satz „Wer an der Börse ein kleines Vermögen machen will, muss mit einem großen Vermögen hingehen“ wurde bei diesen Unternehmen leider wahr.

Analysiert wurde die reine Kursperformance ohne Dividenden und Sonderzahlungen über ein Jahr, drei Jahre sowie fünf Jahre. Basis ist der Schlusskurs des letzten Handelstages im jeweiligen Jahr. Die erzielte Performance fließt mit festgelegten Gewichten in die Gesamtnote ein. Im schlimmsten Fall winken – 1000 Punkte. – 500 für den schlechtesten Wert im Fünfjahresvergleich, - 300 im Dreijahres- und – 200 im Einjahresvergleich. Durch die stärkere Gewichtung des Fünfjahresvergleichs treten Ausrutscher gegenüber mehrjährig intakten Kurstrends in den Hintergrund.

Mit der Intershop AG findet sich ein echter Ex-Star auf dem wenig begehrten ersten Platz der DSW-Watchlist. Das Jenaer Software-Unternehmen gehörte zu den High-Flighern des Neuen Marktes. Die Erwartungen an die Wachstumsraten waren gewaltig, da wurde die Tatsache, dass die Gesellschaft immer nur Verluste auswies schnell zur Nebensache. Dann folgte die Ernüchterung. Der Kurs stürzte dramatisch in die Tiefe. Anleger, die am 31. Dezember 2000 Intershop-Aktien im Wert von 10.000 Euro orderten, hatten am 31. Dezember 2005 noch eine Position in Höhe von sage und schreibe 26,83 Euro. Nach drei Jahren blieben von 10.000 Euro noch 1.514 Euro übrig. 6.010 Euro blieben den Anlegern, die ihre 10.000 Euro Ende 2004 in Intershop-Papiere investierten. Doch immerhin gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Im Jahr 2006 soll erstmals seit der Gründung ein Gewinn erwirtschaftet werden. 2005 wurde noch ein Verlust von 3,3 Millionen Euro ausgewiesen, womit der vorjährige Fehlbetrag allerdings mehr als halbiert werden konnte.

Auf Platz zwei kommt schon die nächste ehemalige Neue-Markt-Hoffnung: Der Chipbroker CE-Consumer Electronic. Nach fünf Jahren waren hier noch rund 206 Euro übrig, wenn 10.000 Euro eingesetzt worden waren. 1.737 Euro waren es noch, wenn der Einstieg drei Jahre zurückliegt. Im Einjahresvergleich mussten CE Consumer-Aktionäre sogar noch mehr Federn lassen als Intershop-Anteilseigner. Anleger, die am 31. Dezember 2004 10.000 Euro in das Unternehmen investierten, hatten genau ein Jahr später noch 3.370 Euro.

Die Rahmenbedingungen scheinen schlecht zu bleiben. Die Gesellschaft hat nicht nur ihr komfortables Eigenkapital von 112 Millionen Euro nahezu aufgebraucht. Auf der letzten Hauptversammlung des Unternehmens sollten die Altaktionäre einer Kapitalmaßnahme zustimmen, bei der sie für neu zu zeichnende Anteile 4,50 Euro je Aktie zahlen sollten, während institutionelle Anleger und der neue Vorstandschef Michael Negel ihre künftige Beteiligung am Unternehmen zu 1 Euro je Aktie erwerben können.

Der kriselnde Beteiligungskonzern WCM – der erste S-DAX-Wert in der DSW-Watchlist – liegt auf Platz drei. Auch hier stehen die Zeichen weiter auf Sturm. Die Finanzbehören hatten einen bereits anerkannten steuerlichen Verlustabzug aus dem Jahr 1998 wieder einkassiert. Die finanziellen Auswirkungen betragen laut ersten Schätzungen 67 Millionen Euro. Hinzu kommen noch mal 20 Millionen Euro an Zinsen. Rückstellungen hat das Unternehmen nicht gebildet. Ob also ein Ende der Talfahrt in Sicht ist, ist zumindest offen. Klar ist, dass Aktionären, die ihre WCM-Papiere vor fünf Jahren kauften, selbst Kurssprünge im dreistelligen Prozentbereich nur wenig helfen würden. Aus ihren 10.000 Euro waren am 31. Dezember 2005 rund 352 Euro geworden. 1.823 Euro haben diejenigen, die die Anteilscheine seit drei Jahren im Depot haben. Auf 3.510 Euro sind eingesetzte 10.000 Euro innerhalb eines Jahres zusammengeschmolzen.

Im letzten Jahr noch auf Platz sechs, ist der „Windenergie-Projektierer“ Plambeck Neue Energien AG in der aktuellen DSW-Watchlist schon auf Platz vier gerutscht. Die DSW hatte auf der letzten Hauptversammlung des Cuxhavener Unternehmens einen Sonderprüfungsantrag bezüglich des Erwerbs der SSP Technology gestellt. Ziel war es, die Merkwürdigkeiten rund um den Erwerb dieses Unternehmens zu klären. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO hatte am 31.05.2004 ein Bewertungsgutachten über das Unternehmen erstellt und es auf einen Wert von rund 28 Millionen Euro taxiert. Der Käuferin, Plambeck Neue Energien, war dieser Kaufpreis zu gering. Ein zweites Gutachten wurde in Auftrag gegeben, das zu einem Wert von rund 48 Millionen Euro kam. Die Abwertung der Beteiligung auf 5 Millionen Euro hat gezeigt, dass selbst die BDO-Schätzung deutlich zu hoch lag.

Dass auch die Investition in Unternehmen der Börsenbundesliga, den DAX30, nicht vor empfindlichen Kursverlusten schützt, zeigt die Infineon AG. Als einziger DAX-Wert hat der ehemalige Siemens-Geschäftsbereich es geschafft, schlecht genug abzuschneiden, um auf der Watchlist (Platz 47) zu landen. Für besondere Aktionärsfreundlichkeit war das Unternehmen noch nie bekannt. Jüngster Coup: Die Speichersparte, die einen Großteil des Umsatzes liefert, soll ohne Zustimmung der Anteilseigner verkauft werden. Unserer Ansicht nach dürfen Vorstand und Aufsichtsrat eine so weitreichende Entscheidung über die Zukunft nicht über die Köpfe der Aktionäre hinweg treffen. Das Thema wird von uns auf der heute stattfindenden Hauptversammlung in die Diskussion eingebracht.

Mit der Epcos AG hat es sogar noch ein weiterer ehemaliger Siemens-Geschäftsbereich auf die DSW-Watchlist geschafft. Platz 41 nimmt der Bauelemente-Hersteller ein. Siemens scheint in der Verlagerung interner Risiken auf die Aktionäre besonders erfolgreich zu sein.

Wachtchlist_2006.pdf